Lesenkönnen einer medizinischen/psychologischen Studie

Fragen, die sich auf kein spezielles Verfahren beziehen.

Re: Lesenkönnen einer medizinischen/psychologischen Studie

Beitragvon Subversor91 » Mi 15. Dez 2021, 13:42

Ich glaube, mein letzter Post war etwas verwirrend (aus dem Grund bis zur Unkenntlichkeit klein gemacht), weswegen ich meine Unklarheit auf eine Frage begrenzen möchte:

Sowohl Chance (ratio), als auch risk ratio und Odds ratio operieren mit derselben Formel/demselben Rechenoperator:
Der eine Wert geteilt durch den anderen Wert.


Während beim Risiko (≈ Prozent) gerechnet wird:
Der eine Wert geteiltdurch die Summe beider Werte.


Insofern wollte den engeren Zusammenhang von odds, OR und RR aufzeigen. Natürlich ist die Chance etwas anderes als dann bspw. die rr, wo es ja um ein Verhältnis geht: Um wie viel etwas bei a wahrscheinlich ist als bei b.
Aber das zeigt sich ja auch daran, dass bei RR eben auch dieses das eine geteilt durch das andere zu tun ist, während ich das absolute Risiko die Nähe zum (einfachen) Risiko/Prozent siehe: Dieselbe Einheit: Prozent: Der eine Wert geteiltdurch die Summe beider Werte

Ein Gedankenexperiment: Es wäre ja auch denkbar, die ratio auszurechnen mit
Chance/odds a geteiltdurch die Summe aus den Chance/odds a und Chance/odds B. Dann wäre der Wertebereich wie beim Risiko zwischen 1 und 0… und 0,5 wäre das neue 1: Beim Wert 0,5 wäre also das Risiko bei beiden Gruppen identisch.

Viele Grüße
Subversor91
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Re: Lesenkönnen einer medizinischen/psychologischen Studie

Beitragvon bele » Do 16. Dez 2021, 12:42

Hallo Subversor,

beim Betrachten von Vierfeldertafeln stellt man sich immer wieder die Frage nach den passenden Formeln. Es geht aber nicht um Formeln, es geht um Daten und um Studiendesigns die zu den Daten geführt haben.
Wenn ich alle Schweden untersuche, wie oft sie ADHS haben, dann kann ich das Risiko eines Schweden für ADHS berechnen. Vergleiche ich aber zwanzig Schweden mit ADHS mit zwanzig Schweden ohne ADHS, dann kann ich das Risiko eines Schweden für ADHS nicht berechnen. Wo ich kein Risiko berechnen kann, da kann ich auch kein relatives Risiko berechnen. Eine OR kann ich aber immer berechnen und oft ist sie ein ganz passabler Ersatz für eine RR.

bele hat geschrieben:Am Ende läuft es auf das genaue Studiendesign hinaus: Je nachdem, wie man seine Studienteilnehmer aufgetrieben hat, kann man am Ende eine OR oder ein RR berechnen.


siehe z. B. https://youtu.be/nCw_MBMlNLM?t=467

Ob Du Dich jetzt noch in das Thema Studiendesigns [link] einlesen willst, musst Du Dir selbst überlegen.

LG,
Bernhard
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Re: Lesenkönnen einer medizinischen/psychologischen Studie

Beitragvon Subversor91 » Fr 24. Dez 2021, 00:17

Lieber Bernhard,

ich erlaube mir, ein letztes Mal auf diesen Komplex einzugehen. Ich glaube, in den letzten Tagen hat es bei mir einige Aha-Effekte gegeben und ich will sie einfach schildern. Es geht wahrscheinlich sogar weniger um Fragen, als vielmehr Vergewisserung mit der Bitte um „ja/ Korrekt“, damit sich keine Missverständnisse einbläuen. Weil es zu viel ist, teile ich thematisch in mehrere Posts, und dann kann man ja auch nur auf das antworten, worauf man möchte. –– Thema „Unterschied von Risiko und Chance“ mache ich danach, ich kann euch ja hier nicht so viel zuspammen...

1a) Relatives Risiko ; RRR und RRI

Korrektur meiner falschen Annahme, beim relativen Risiko wird die Einheit geändert: Nein, auch dieser Quotient namens „relatives Risiko“ ist irgendwie in der Einheit Prozent, ich muss lediglich mal 100 nehmen. Beispiel: Inzidenz/absolutes Risiko Interventionsgruppe 20/100, in der Kontroll-/Nichtinterventionsgruppe: 60/100
RR: 0,33333
RRR = 1 – 0,33333 : 0,6666 ; wenn man das mal 100 nimmt: 66,6 %, Reduktion also „um 2/3“, oder verringert „auf ein Drittel“, wenn man das so sagen darf. Kann man das?

Noch zwei Eigenschaften:
b) Das Risiko von Interventionsgruppe im Verhältnis zur Kontrollgruppe.. Dieses erhöhte Risiko der Kontrollgruppe wird eben absolut gesetzt, auch wenn dieses Risiko nicht so groß ist. (also Risiko der Kontrollgruppe wird zu: 100 %, der absolute Wert/Grundwert ). Beim absoluten Risiko wird hingegen das Infektionsrisiko des Nichtimmunisierten, das Grundrisiko überhaupt, mitberücksichtigt, das ja nur in den seltensten Fällen bei 100 % liegt – und wenn dieses entsprechend klein ist, kann die absolute Risikoreduktion sehr klein ausfallen, selbst dann wenn die Intervention eigentlich sehr effektiv ist.
c) Diese Absolutsetzung ist nicht symmetrisch, ich kann also aus RRR nicht einfach RRI machen; ich kann also nicht sagen, „die Nichtintervention’ler haben ein 66% höheres Risiko“, sondern muss nochmals neu rechnen: 60/100 geteiltdurch 20/100 : 3 || 1 – 2 ; also RRI: 2 ; sie haben ein doppelt so hohes Risiko

2. Formel der relativen Risikoreduktion
Dass man zur RRR anstelle von 1 - RR (oder: -1 + RR) auch

(Kontrollgruppeninzidenz minus Impfinzidenz) geteiltdurch Kontrollgruppeninzidenz (!!!)
oder
Absolute Risikoreduktion geteiltdurch Kontrollgruppeninzidenz

machen kann, nehme ich zur Kenntnis. Ersteres kann ich auch verstehen (zuerst wie bei ARR, das dann einfach ins Verhältnis/ in die Einheit des konkreten Falles genommen wird, indem CER der Maßstab (≈ 100 %) ist.

(!!!) also beides Mal ein jeweils ein personengruppenspezifisches „absolutes Risiko“, Fachbegriffe: CER - EER
1 von 2 , 50 von 100, eine Absolutsetzung des absoluten Risikos ohne Intervention


@ Anhang, Formel: https://www.file-upload.net/download-14 ... R.png.html
Ich habe allerdings wo auch folgende Formel zur RRR gefunden. Das rot umrahmte ist aber falsch, oder?
1 minus RR ist klar.. aber 1 minus (1 durch RR) gibt keinen Sinn...
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Re: Lesenkönnen einer medizinischen/psychologischen Studie

Beitragvon Subversor91 » Fr 24. Dez 2021, 00:26

3. RR/RRR und AR am Beispiel des aktuellen RKI-Berichts

Dann stelle ich einfach mal mein mittlerweile erlerntes Wissen unter Beweis.
Nehmen wir den aktuellen RKI-Wochenbericht als Grundlage: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... cationFile
Seite 23, symptomatische Fälle: 18-59 Jahre; also Risiko immer bezogen auf Risiko für symptomatische Infektion:
Inzidenz bei Ungeimpften: 0,245 ; Grundimmunisierte: 0,095 ; Auffrischgeimpfte: 0,030
(pro hundert immer)

Rel.Risiko für Auffrischgeimpfte : 0,122 , Relative Risikoreduktion: fast 88 %
Absolute Risikoreduktion: 0,215 % (abs. Risiko 0,245 und 0,03 %)..
Risiko natürlich immer pro Woche

Nun noch die Grundimmunisierten mit zwei Daten: RR für Grundimmunisierte: 0,39 ; RRR: 61 %


Ich wünsche schon einmal ein frohes Fest!
Ich gehe nicht davon aus, dass man sich das heute/morgen oder an den Feiertagen anschaut ;)

Liebe Grüße
Subversor91
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Re: Lesenkönnen einer medizinischen/psychologischen Studie

Beitragvon bele » Fr 24. Dez 2021, 12:43

Hallo Subversor,

Subversor91 hat geschrieben:... dieser Quotient namens „relatives Risiko“ ist irgendwie in der Einheit Prozent[/b], ich muss lediglich mal 100 nehmen. Beispiel: Inzidenz/absolutes Risiko Interventionsgruppe 20/100, in der Kontroll-/Nichtinterventionsgruppe: 60/100
RR: 0,33333
RRR = 1 – 0,33333 : 0,6666 ; wenn man das mal 100 nimmt: 66,6 %, Reduktion also „um 2/3“, oder verringert „auf ein Drittel“, wenn man das so sagen darf. Kann man das?

Ja, das erscheint mir ganz richtig so.

b) Das Risiko von Interventionsgruppe im Verhältnis zur Kontrollgruppe.. Dieses erhöhte Risiko der Kontrollgruppe wird eben absolut gesetzt, auch wenn dieses Risiko nicht so groß ist. (also Risiko der Kontrollgruppe wird zu: 100 %, der absolute Wert/Grundwert ). Beim absoluten Risiko wird hingegen das Infektionsrisiko des Nichtimmunisierten, das Grundrisiko überhaupt, mitberücksichtigt, das ja nur in den seltensten Fällen bei 100 % liegt – und wenn dieses entsprechend klein ist, kann die absolute Risikoreduktion sehr klein ausfallen, selbst dann wenn die Intervention eigentlich sehr effektiv ist.


Ja, das kannst Du Dir so merken. Deshalb gibt es eine allgemeine Empfehlung für eine Coloskopie zur Früherkennung von Darmkrebs aber keine allgemeine Empfehlung für eine Laryngoskopie zur Früherkennung von Kehlkopfkrebs. Die Laryngoskopie ist schnell, billig und harmlos, aber das absolute Risiko für einen anders nicht auffallenden Kehlkopfkrebs ist in absoluten Zahlen zu gering, um eine universelle Screeningempfehlung zu rechtfertigen. Ähnliches bei den Augenärzten: Die verkaufen gerne eine Untersuchung auf Grünen Star als IGeL: In relativen Zahlen ist das gut zu verkaufen, in absoluten Zahlen aber nicht als Kassenleistung gerechtfertigt.

c) Diese Absolutsetzung ist nicht symmetrisch, ich kann also aus RRR nicht einfach RRI machen; ich kann also nicht sagen, „die Nichtintervention’ler haben ein 66% höheres Risiko“, sondern muss nochmals neu rechnen: 60/100 geteiltdurch 20/100 : 3 || 1 – 2 ; also RRI: 2 ; sie haben ein doppelt so hohes Risiko


Das habe ich noch nicht verstanden. Neu rechnen ist meist der sicherere Weg.

Nehmen wir den aktuellen RKI-Wochenbericht als Grundlage: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... cationFile
Seite 23, symptomatische Fälle: 18-59 Jahre; also Risiko immer bezogen auf Risiko für symptomatische Infektion:
Inzidenz bei Ungeimpften: ~ 245 ; Grundimmunisierte: 95 ; Auffrischgeimpfte: 30

Rel.Risiko für Auffrischgeimpfte : 0,122 , Relative Risikoreduktion: fast 88 %
Absolute Risikoreduktion: 0,215 % (abs. Risiko 0,245 und 0,03 %)..
Risiko natürlich immer pro Woche


Ich habe das jetzt nicht nachgerechnet, es klingt aber alles plausibel und so, als hättest Du es jetzt drauf. Bei all dem exakten Rechnen darf man natürlich nie außer Acht lassen, wo die Zahlen her sind und welche Limitationen daraus erwachsen. In der statistischen Masse werden sich die Geimpften und die Nicht-Geimpften eben nicht nur durch die Impfung unterscheiden sondern Geimpfte werden sich in der statistischen Masse auch mehr an AHA-Regeln halten, werden Masken häufiger über als unter der Maske tragen und eine andere Altersverteilung haben. Der von Dir berechnete Effekt zwischen Geimpften und Ungeimpften ist also nicht dasselbe wie der Effekt der Impfung.
Deshalb ist es kritisch, wenn ein Epidemiologe oder Virologe in den Fernsehnachrichten dreißig bis neunzig Sekunden Redezeit bekommt und der Lagebericht des RKI ist schon die richtige Quelle.

Frohes Fest!
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Re: Lesenkönnen einer medizinischen/psychologischen Studie

Beitragvon Subversor91 » Sa 25. Dez 2021, 14:48

Ja, das erscheint mir ganz richtig so. [...]
Ja, das kannst Du Dir so merken.

Schön, dass ich über das relative Risiko (Quotient, die noch in der Einheit Prozent vorliegt; klar pro centum, insofern mal 100) nun so Vieles lernen konnte.

a)
Das habe ich noch nicht verstanden.

Mit der Aussage, dass man aus der relativen Risikoreduktion nicht einfach einen relativen Risikozuwachs machen könnte, dass sich beide Inzidenzwerte nicht symmetrisch verhalten, meinte ich, dass man nicht einfach das Verhältnis der beiden umdrehen könne, sprich:

EER: Inzidenz 20/100.000 (nehmen wir an, ein Medikament)
CER (Nichtintervention) geteiltdurch Inzidenz 60/100.000
Bei den Werten kann ich sagen, dass die Risikoreduktion 66 % beträgt, also um Zweidrittel reduziert ist. Dieses relative Risiko setzt aber die Nichtintervention-(=Kontroll-)gruppe absolut, ich kann nicht einfach umgekehrt sagen: Die Risikoerhöhung, wenn man das Medikament nicht nimmt, ist um Zweidrittel erhöht (dann wäre RRI ebenso: 66 %), sondern ich muss neu rechnen, indem ich die beiden Inzidenzwerte umdrehe und damit den EER als Grundwert nehme:
60/100.000 geteiltdurch 20/100.000 : RR: 3 ; Relativer Risikozuwachs: 1 minus 3 : 2 --> RRI: 200 %
Also: Im Falle der Nichteinnahme des Medikaments ist das Risiko um 200%, also eine Verdreifachung des Risikos im Vergleich zu derjenigen Gruppe, die das Medikament einnimmt.

b)
Über den RKI-Bericht, der die Inzidenzen, aufgeschlüsselt nach Impfstatus, auflistet, habe ich gestern mit einem Freund gesprochen, der fertiger Mediziner ist. Erstaunlicherweise schrieb er mir Folgendes:

"Das relative Risiko hilft dir hier nicht wirklich weiter [...] Bzw ist für das Verständnis ungeeignet [...] Das relative Risiko bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung und ist kaum geeignet ein Risiko zu beschreiben"
Ich glaube, hier irrt mein Freund. Damit wäre die Inzidenzzahl in hohem Maße abhängig von der Anzahl der jeweiligen Anzahl jeder Impfstatusgruppe. M.E. wird immer die Gesamtmenge mit dem jeweiligen Impfstatus als Nenner verwendet, und nicht einfach die Gesamtmenge der Bevölkerung.
Nicht nur dass das nicht so gemacht wird, wäre das nicht auch ein Prävalenzfehler? Könnte das wirklich auch so berechnet sein, wie von meinem Kumpel unterstellt?
Im verlinkten RKI-Bericht auf Seite 22 wird eine Erläuterung zur Berechnung der Inzidenzen angeführt, was ich als Beleg für meine Auffassung nehme:
Für die Berechnung der Nenner der jeweiligen Inzidenzen wurde die Gesamtzahl grundimmunisierter Personen, Personen mit Auffrischimpfungen und ungeimpfter Personen in der Bevölkerung aus dem Digitalen Impfquotenmonitoring des RKI genommen [...]. Für die Berechnung der jeweiligen Inzidenzen wurden die grundimmunisierten Fälle, Fälle mit Auffrischimpfung bzw. ungeimpften Fälle zur grundimmunisierten Bevölkerung, Bevölkerung mit Auffrischimpfung bzw. zur ungeimpften Bevölkerung ins Verhältnis gesetzt.


Dir, und allen Mitlesern und Forenmitgliedern, ebenso frohe Weihnachtsfeiertage!
Beste Grüße
Subversor91
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