Konfidenzintervall und Interpretation

Univariate Statistik.

Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon aennipenni » Di 17. Jan 2017, 18:18

Ich verstehe leider folgendes Problem nicht ganz, bzw weiß nicht wie ich das Konfidenzintervall hier ohne Standartabweichung berechnen, bzw. interpretieren kann :)

"Mit Hilfe einer Untersuchung soll prognostiziert werden, wie hoch der Anteil der Psychologie-Studierenden ist, die sich nach Abschluss des Studiums um eine Stelle im klinischen oder therapeutischen Bereich bemühen werden. Bei einer entsprechenden Befragung von 100 Diplomatinnen der Fachrichtung Psychologie bejahen 65 die Frage, ob sie später im klinisch-psychologischen oder therapeutischen Bereich tätig sein wollen. CL 0.5146 < Müh < 0.7854, alpha:0.05

a. Erläutern Sie, warum folgende inhaltliche Interpretation des Konfidenzintervalls falsch ist (führen Sie alle Fehler an): "Zwischen 51.46 und 78.54 Prozent der Befragten bejahten die Frage"
b. Formulieren Sie eine korrekte inhaltliche Interpretation

muss man hierbei einfach nur die Interpretation ändern: wie z.B
Bei einer Untersuchung, bei der eine Stichprobe von 100 Diplom............. (...) bejahten zwischen (...) oder muss ich das vollkommen anders berechnen :)

Vielen Dank
aennipenni
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Re: Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon bele » Di 17. Jan 2017, 22:02

Bei dieser Befragung antworteten 65 mit ja. Das ist zwischen 64 und 66. Das Konfidenzintervall sagt direkt nichts über diese Befragung, sondern etwas mit hypothetischen Wiederholungen dieser Befragung zu tun.

LG,
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Re: Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon forenthomas » Mi 18. Jan 2017, 13:06

Hallo aennipenni,

die Standardabweichung ist ja in der Regel nicht bekannt und wird daher als s aus der Stichprobe geschätzt, wofür du nur n und p benötigst, die du ja beide kennst. Was mich allerdings wundert ist das angegebene Konfidenzintervall, denn zum einen geht es doch wohl um p und nicht um , wofür auch die Werte von 0,... sprechen, zum anderen bekomme ich andere Werte. Aber egal.

Beliebter bei Dozenten IMHO die Interpretation: Der wahre Anteil aller Diplomantinnen wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% zwischen ... liegen.

Gruß, Thomas

Sorry, musste "mit einer Wahrscheinlichkeit von 95%" nach dem Kommentar von PonderStibbons noch ergänzen, was aber für dessen Beitrag unerheblich ist.
Zuletzt geändert von forenthomas am Mi 18. Jan 2017, 13:46, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon PonderStibbons » Mi 18. Jan 2017, 13:20

Beliebter bei Dozenten IMHO die Interpretation: Der wahre Anteil aller Diplomantinnen wird zwischen ... liegen.

Ja, das ist das Dilemma - diese Interpretation eines frequentistischen
Konfidenzintervalles ist schlicht falsch, wird aber von Statistikanwendern
einschließlich vieler (der meisten?) Dozenten für zutreffend gehalten.
Es kann also sein, dass man hier eine sachliche falsche Antwort geben
soll, weil der Dozent es nicht besser weiß und sie erwartet.

Mit freundlichen Grüßen

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Re: Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon forenthomas » Mi 18. Jan 2017, 13:56

Für alle, die jetzt Angst haben, gar nichts mehr zu verstehen, zitiere ich Bortz, Statistik, 6. Auflage, S. 101:

Die eigentlich plausibel klingende Aussage, der gesuchte Parameter befinde sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 95,5\% im Bereich ist genau genommen nicht korrekt, denn tatsächlich kann der Parameter nur innerhalb oder außerhalb des gefundenen Bereichs liegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Parameter in einen bestimmten Bereich fällt, ist damit entweder o oder 1;


Richtig wäre demnach:

Die Wahrscheinlichkeit, dass zu einer Population gehört, deren Parameter außerhalb dieses Bereiches liegt, beträgt höchstens 4,5%.


Allerdings muss ich ehrlich gestehen, dass ich persönlich auch die erste Interpretation bevorzuge, da ich der sprachlichen Verständlichkeit hier den Vorzug vor der mathematischen Korrektheit gebe. Sachlich halte ich nämlich die "falsch" Interpretation nicht für wirklich problematisch.

Gruß, Thomas
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Re: Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon bele » Mi 18. Jan 2017, 14:08

@PonderStibbons: Das ist aber eine gefährliche Logik! Zumal wir uns ja hier nicht auf die Menge der Dozenten beziehen, sondern auf die Menge der Dozenten, die eigens Fragen zu Falschinterpretationen von Konfidenzintervallen stellen 8-)

@Thomas: Es lassen sich Beispiele finden (bzw. sind publiziert worden), in denen der wahre und bekannte Mittelwert nicht im korrekt spezifizierten 95%-KI liegt. In dem Moment, wo Du die korrekte Sprache aufgibst zugunsten einer verständlichen, verlockst Du die Leute zu falschem Denken. Mathematische Korrektheit darf man nur Aufgeben, wenn man sprachlich deutlich markiert, dass hier die mathematische Korrektheit aufgegeben worden ist.

@all: Der größte Fehler, der mir auffällt, ist, dass man von Diplomatinnen nicht auf Studierende schließen kann. Nur die besten schaffen es in den diplomatischen Dienst, die sind nicht repräsentativ. Falsch ist sicher der Bezug der CI-Grenzen auf die Zahl der tatsächlich realisierten Stichprobe. Die interessanteste Frage ist doch, ob sich noch weitere Falschheiten in dem Satz in a verbergen.
Die als korrekt anzunehmende Definition in b lässt sich ja aus dem Lehrbuch abschreiben.

LG,
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Re: Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon PonderStibbons » Mi 18. Jan 2017, 15:56

forenthomas hat geschrieben: Sachlich halte ich nämlich die "falsch" Interpretation nicht für wirklich problematisch.

Die falsche Darstellung verleitet dazu anzunehmen, man könne behaupten, dass der gesuchte Parameter mit Wahrscheinlichkeit 1-alpha in den durch die Stichprobendaten ermittelten Grenzen liegt. Das ist bedient zwar die Sehnsucht nach etwas, was frequentistische Statistik nicht leisten kann (nämlich die Angabe, wie wahrscheinlich etwas [eine Hypothese, ein Parameter] angesichts der Daten ist), führt aber leider in die Irre, weil in Wahrheit die Konfidenzintervalle nur Gegenstück der leidigen p-Werten sind (die angeben, wie wahrscheinlich die Daten angesichts der Hypothese sind).

Mit freundlichen Grüßen

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Re: Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon forenthomas » Do 19. Jan 2017, 10:22

Hallo zusammen,

sorry, wenn ich das noch mal aufgreife, aber so ganz sicher bin ich mir da halt auch immer noch nicht (wohl Level Studierender und nicht Diplomat :) ):

@Bernhard: Natürlich lassen sich Beispiele finden. Genau genommen müsste das ja auch in jedem 20sten Fall so ein! Schließlich ist ein korrekt berechnetes Konfidenzintervall immer noch ein Konfidenzintervall und keine Wahrheit. Vertrauen heißt nicht Wissen. Ich weiss natürlich nicht, ob der gesuchte Wert tatsächlich im Intervall liegt, aber ich vertraue darauf - bin mir aber immer im klaren, dass mein Vertrauen in 5% der Fälle auch enttäuscht wird. (Die Frage Mathematik und Sprache lasse ich mal weg, damit wir uns nicht verheddern :))

@all:
Wenn ich auf die Literatur zurückgreife, dann bekomme ich außer bei Bortz auch entsprechende Aussagen:

Field, Discovering Statistics using R: "The basic idea behind confidence intervals is to construct a range of values within which we think the population value falls" ... "...in particular, they tell us the likelihood that they contain the true value of the thing we're trying to estimate"

Fahrmeir u.a., Statistik: "Intervallschätzung berücksichtigt die Unsicherheit der Schätzung dadurch, daß ein Intervall konstruiert wird, das mit vorgegebener Sicherheitswahrscheinlichkeit den wahren Parameter überdeckt."

Etwas mehr in die Richtung gehen Mosler, Schmidt in Wahrscheinlichkeitsrechnung und schließende Statistik: "Für jede Realisation der Stichprobe erhält man ein konkretes Konfidenzintervall. Entweder enthält dieses den wahren Parameter, oder es enthält ihn nicht. Dafür, dass das konkrete Intervall den Parameter überdeckt, lässt sich keine Wahrscheinlichkeit angeben. Die Wahrscheinlichkeit 1- haftet nicht dem konkret aus den Daten bestimmten Intervall, sondern dem Schätzverfahren an. Sie lässt sich als relative Häufigkeit interpretieren: Verwendet man für eine große Anzahl von Konfidenzschätzungen Intervalle, die jeweils das Niveau 1 - besitzen, so nähert sich die relative Häufigkeit, mit denen die konkreten Intervalle den Parameter überdecken, dem Wert 1 - .

Ok, aber ist das nicht genau die Definition für eine empirische Wahrscheinlichkeit? Wenn die relative Häufigkeit des Parameters im Intervall approximativ 0,95 ist, ist dann nicht die Wahrscheinlichkeit für den Parameter in einem Intervall eben 0,95?

Naja, vielleicht ist da auch die Grenze meines abstrakten Denkvermögens einfach erreicht.

Nichts für ungut, Gruß,
Thomas
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Re: Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon PonderStibbons » Do 19. Jan 2017, 10:41

@Bernhard: Natürlich lassen sich Beispiele finden. Genau genommen müsste das ja auch in jedem 20sten Fall so ein! Schließlich ist ein korrekt berechnetes Konfidenzintervall immer noch ein Konfidenzintervall und keine Wahrheit. Vertrauen heißt nicht Wissen. Ich weiss natürlich nicht, ob der gesuchte Wert tatsächlich im Intervall liegt, aber ich vertraue darauf - bin mir aber immer im klaren, dass mein Vertrauen in 5% der Fälle auch enttäuscht wird.

Das kannst Du a priori. Aber die NACH der Datenerhebung ermittelten Konfidenzintervalle geben NICHT an, dass mit 95% Wahrscheinlichkeit der Parameter in genau diesen auf Basis der Stichprobendaten errechneten Intervallgrenzen liegt. Wäre ja auch leicht widersinnig. Fiktives Beispiel: Man ziehe aus derselben Grundgesamtheit 2 Stichproben a 15 Werte und ermittele die 95%-Intervalle - wie soll man damit umgehen, dass angeblich der gesuchte Wert zu 95% zwischen 80 und 100 liegt, in der zweiten Stichprobe zwischen 90 und 110?

Field, Discovering Statistics using R: "The basic idea behind confidence intervals is to construct a range of values within which we think the population value falls" ... "...in particular, they tell us the likelihood that they contain the true value of the thing we're trying to estimate"

Das ist leider falsch.

Fahrmeir u.a., Statistik: "Intervallschätzung berücksichtigt die Unsicherheit der Schätzung dadurch, daß ein Intervall konstruiert wird, das mit vorgegebener Sicherheitswahrscheinlichkeit den wahren Parameter überdeckt."

Das ist zumindest mißverständlich. Vor der Datenerhebung weiß ich, der gesuchte Parameter wird sich in 95% der konstruierten Intervalle befinden. Aber die konkreten, auf Basis der Stichprobendaten ermittelten Intervallgrenzen schließen nicht mit 95% Sicherheit den Parameter ein.

Etwas mehr in die Richtung gehen Mosler, Schmidt in Wahrscheinlichkeitsrechnung und schließende Statistik: "Für jede Realisation der Stichprobe erhält man ein konkretes Konfidenzintervall. Entweder enthält dieses den wahren Parameter, oder es enthält ihn nicht. Dafür, dass das konkrete Intervall den Parameter überdeckt, lässt sich keine Wahrscheinlichkeit angeben.

Jetzt haben wir endlich die korrekte Aussage: dass das KONKRETE Intervall den Parameter enthält, lässt sich mit keiner Wahrscheinlichkeit behaupten.

Ok, aber ist das nicht genau die Definition für eine empirische Wahrscheinlichkeit? Wenn die relative Häufigkeit des Parameters im Intervall approximativ 0,95 ist, ist dann nicht die Wahrscheinlichkeit für den Parameter in einem Intervall eben 0,95?

Nein! Lies es doch nochmal ganz genau. Es geht darum, dass das Schätzverfahren (über viele Stichproben hinweg)
zu 95% Konfidenzintervalle erzeugt, die den Parameter enthalten. Aber die konkreten Grenzen X und Y, die man in einer
konkreten Stichprobe ermittelt, enthalten nicht mit 95% Wahrscheinlichkeit den Parameter.

Naja, vielleicht ist da auch die Grenze meines abstrakten Denkvermögens einfach erreicht.

Mag sein. Die einzige mir persönlich bekannte Erklärung, die eine Analogie verwendet, ist http://andrewgelman.com/2016/11/23/abra ... intervals/

Man merke sich einfach, Verständnis hin oder her, dass ein Konfidenzintervall nicht das ist, was es zu sein scheint.
Genauso wie ein p-Wert leider was anderes ist, als die meisten annehmen.

Mit freundlichen Grüßen

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Re: Konfidenzintervall und Interpretation

Beitragvon forenthomas » Fr 20. Jan 2017, 08:58

Hallo PonderStibbons,

ganz herzlichen Dank erst einmal für die sehr ausführliche Kommentierung. Das selbst mein Guru Field da irrt hat mich ja etwas erschreckt. Aber so ist das halt mit Gurus ... Jetzt habe ich mich also durch den wirklich sehr, sehr interessanten Artikel gekämpft - naja, zumindest durch 3/4. Danke auch dafür, der Link war wirklich gut - und tröstlich, da sich ja auch sehr viel intelligentere und statistisch besser ausgebildete Leute da durchaus streiten.

Ich glaube auch, ich hab's einigermaßen verstanden. Baysianer war ich auch noch nie wirklich, vielleicht liegt da auch mein Problem.

Was ich aber nicht wirklich gefunden habe, war einen praktisch brauchbaren Interpretationsansatz. Oder, wie es ein Mitdiskutierender formulierte: " Sure, statement C [die Wahrscheinlichkeit für den Mittelwert im Intervall beträgt] is not correct, but A and B [die korrekten Interpretationen] are not particularly useful" oder ein anderer: "So how should I interpret it? I mean, practically, and granting maximum generosity to practicality over formality -? Something that is useful … maybe how it influences a decision I make or a belief I form?" Genau diese Frage: Wie soll ich es jetzt also interpretieren, dass es mir einen praktischen Nutzen im Hinblick auf meine Entscheidung bringt? - an der arbeite ich noch. Wenn du da auch noch eine tolle Quelle hast: Gerne. Ansonsten werde ich mich mal ausgehend vom Artikel weiter durcharbeiten ....

Gruß, Thomas
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