Sind selbstgebildeteSkalen manifeste oder latente Variablen?

Sind selbstgebildeteSkalen manifeste oder latente Variablen?

Beitragvon fuselchen » Do 7. Jun 2012, 13:36

Hallo.
Bin mir nicht sicher, ob ich mittlerweile einfach verwirrt bin oder das tatsächlich nicht so einfach zu trennen ist...
Ich berechne in meiner Diplomarbeit Strukturgleichungsmodelle. Beim Lesen von einigen Artikeln ist mir aufgefallen, dass selbst gebildete Skalen (z.B. zur Mobilität aus verschiedenen abgefragten Items) als manifeste Variablen in Strukturgleichungsmodelle aufgenommen werden.
In anderen Büchern steht, dass jedoch nur direkt gemessene Variablen manifeste Variablen sind und solche selbstgebildeten Skalen eigentlich latente Variablen sein müssten (z.B. Schulleistung als latente Variable aus Deutsch-, Mathe- und Englisch-note).
Jetzt bin ich verwirrt und mir nicht sicher, ab wann eine aufbereitete Variable als latente Variable gilt.
Vielleicht könnt ihr mir ja helfen?
Vielen Dank schonmal
liebe Grüße
Tanja
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Re: Sind selbstgebildeteSkalen manifeste oder latente Variab

Beitragvon Verena » Fr 8. Jun 2012, 08:13

Ganz streng genommen sollten Einzelitems als Indikatoren verwendet werden. Allerdings ist es auch Usus die Skalenwerte (Mittelwert o.ä.) als manifeste Variablen zu nehmen. Besonders bei selbst gebildeten Skalen solltest du hier allerdings noch überprüfen, ob sie soweit homogen sind (durch Reliabilitätsanalysen oder Faktoranalysen). Hab das in meiner DA auch gemacht, z.B. aus den Skalenwerten Depression, Angst und Stress den latenten Faktor psych. Gesundheit gebildet, wobei jede Skala bereits aus sieben Items zusammengefasst wurde. Hab allerdings standardisierte und bereits validierte Verfahren verwendet...
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Re: Sind selbstgebildeteSkalen manifeste oder latente Variab

Beitragvon Holgonaut » Fr 8. Jun 2012, 10:41

Hallo meine Damen,

Tanja, dir fehlt das fundamentale Verständnis über zentrale Konzepte (latente Variablen) in einem SEM. Eine latente Variable ist DIE angenommene empirische Entität,
die kausal irgendeine Rolle spielt - und zwar a) auf die beobachtete Welt (Messungen, Beobachtungen) als auch b) auf andere latente Variablen.

Egal ob du items oder Skalen als Indikatoren verwendest, und ob sie selbst - oder fremdentwickelt sind, es sind immer messfehlerbehaftete manifeste Variablen.

In einem reflektiven Faktormodell besteht die Annahme, dass mehrere manifeste Indikatoren durch eine ZUGRUNDELIEGENDE latente Variable verursacht werden.

@Verena: Daher hab ich etwas Zweifel bei Deiner mental health (ich glaube das aber schon mal gesagt zu haben ;) )

Ganz streng genommen sollten Einzelitems als Indikatoren verwendet werden. Allerdings ist es auch Usus die Skalenwerte (Mittelwert o.ä.) als manifeste Variablen zu nehmen. Besonders bei selbst gebildeten Skalen solltest du hier allerdings noch überprüfen, ob sie soweit homogen sind (durch Reliabilitätsanalysen oder Faktoranalysen)


Du beschreibst das so, als sei das ein Extra-Schritt, den man vorher macht. Aber ein Messmodell ist Teil eines komplexen Modells - bzw. sollte es sein - da dies ein besserer Test des Messmodells ist.
Es in das Gesamtmodell einzuordnen (wegen mir auch in einer CFA, in der die latenten Variablen frei korrelieren), impliziert viele Restriktionen - z.B. müssen die Korrelationen zwischen den Indikatoren zweier latenter Variablen eine Funktion der Ladungen, Varianzen der latenten Variablen und Zusammenhänge der latenten Variablen sein. Du solltest EFAs vermeiden, weil die kaum Restriktionen haben und Reliabilitätsanalysen machen nur NACH dem SEM/CFA Sinn.

Tanja:
In anderen Büchern steht, dass jedoch nur direkt gemessene Variablen manifeste Variablen sind und solche selbstgebildeten Skalen eigentlich latente Variablen sein müssten (z.B. Schulleistung als latente Variable aus Deutsch-, Mathe- und Englisch-note).


Man liest viel Quatsch! Das Schulleistungs-Beispiel ist das beste Beispiel. Schulleistung ist das AGGREGAT der Einzelnoten. Wenn du wie ich oben beschrieben habe, das als reflektives Modell spezifizierst, bekommst du eine latente Variable, die der Deutsch, Mathe- und Englisch-Note kausal zugrunde liegt. Da fragt man sich, was das dann ist: Fleiß? Intelligenz? In jedem Fall die Ursache aller drei Einzelleistungen.

Soweit erst mal :)

Grüße
Holger
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Re: Sind selbstgebildeteSkalen manifeste oder latente Variab

Beitragvon Verena » Fr 8. Jun 2012, 13:02

Ja, der letzte Absatz ist spannend, was liegt dem nun eigentlich zugrunde? Was macht die latente Variable aus? ;)
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Re: Sind selbstgebildeteSkalen manifeste oder latente Variab

Beitragvon Holgonaut » Fr 8. Jun 2012, 21:24

Verena,

was dem zugrunde liegt, ist unklar. Es ist die gemeinsame Ursache der drei Leistungen - was immer das auch sein mag. Deshalb ist für ein Messmodell zentral,
dass a) es sauber fittet (am besten nach dem Chi-Quadrat-Test), b) die beabsichtige latente Variable THEORETISCH als gemeinsame Ursache der Indikatoren Sinn macht
und c) die Ladungen in ihrer Höhe letzteres stützen.

Ich favorisiere aus allen 3 Gründen konzeptionell sehr ähnliche Indiaktoren, die exakt eine Information gemein haben (nämlich diejenige, die mit der latenten Variable zu tun haben).

Bei deiner mental health ist das so eine Sache, da Depression, Angst und Stress eben selbst unterschiedliche Konzepte (~latente Variablen) sind. Klar ist es nicht unplausibel, dass diesen
3 Störungsmuster eine Ursache zugrunde liegt, nur impliziert der Begriff "health" eher die Summe dieser 3 Störungsmuster als deren Ursache. Ich hab in einem Artikel (mein work&stress-Artikel,
den du sicher leicht finden wirst) ja auch so ein Modell, wo wir "strain" als latente Ursacher verschiedener psychosomatischer Beschwerden, Depression, Ermüdung und Schlafstörungen modelliert haben.
Allerdings war es schon eine Heidenarbeit, für die Bedeutung und Sinnhaftigkeit dieser latenten Variable zu argumentieren (auch weil die Reviewer uns gefoltert haben ;) )

Grüße
Holger
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