Modellvergleich: Faktor höherer Ordnung

Modellvergleich: Faktor höherer Ordnung

Beitragvon LauritaBerlin » Fr 3. Jan 2020, 15:40

Hallo zusammen,
in meiner Studie habe ich mithilfe einer EFA eine Skala extrahiert und diese an einer zweiten Stichprobe mittels CFA validiert. Hierbei habe ich Modell A erhalten, das aus 6 korrelierten Faktoren besteht.
Nun möchte ich mein Modell gegen Alternativmodelle mit denselben beobachteten Variablen aber unterschiedlichen Konfigurationen (z.B. Nullmodell, Modell mit Faktor(en) höherer Ordnung) testen.
Hierfür würde ich gerne einen Chi-Quadrattest über die ANOVA-Funktion in R anwenden, um Modell A und B zu vergleichen.

Zu den Spezifikationen:
Modell A: 6 Korrelierte Faktoren mit jeweils 3 - 4 Indikatoren
Modell B: Ebendiese (korrelierten) Faktoren, jedoch mit jeweils einer Ladung auf einen übergeordneten Faktor

Sowohl Modell A und B zeigen gute absolute Fit-Indizes.

Nun meine Fragen:
1. Ist Modell B in Modell A geschachtelt, bzw. ist Modell B restriktiver als A? Wenn ja, wie erklärt sich das? Ich kann mir nicht herleiten, durch welche Restriktionen Modell B aus Modell A entstehen sollte. Oder reicht es hierfür, die Korrelationen zwischen den Faktoren erster Ordnung auf 0 zu setzen, weil ich im Modell zweiter Ordnung davon ausgehe, dass die Zusammenhänge zwischen ihnen durch den Faktor zweiter Ordnung erklärt werden?
2. Muss bei einem Modell mit Faktor höherer Ordnung davon ausgegangen werden, dass die Faktoren erster Ordnung nicht miteinander korrelieren?
3. Was bedeutet eine eventuelle Existenz des Faktors zweiter Ordnung für die Interpretation der Ladungen der manifesten Variablen auf die Faktoren erster Ordnung?

Ich würde mich über Antworten und Hilfe freuen!

Liebe Grüße

LB
LauritaBerlin
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Re: Modellvergleich: Faktor höherer Ordnung

Beitragvon Holgonaut » So 5. Jan 2020, 11:13

Hallo Laurita,

hier ein paar Anmerkungen zu Deinen Fragen:

1) Sie sind nicht genestet. Modell A enthält nur latente Kovarianzen; Modell B Struktureffekte
2) Im Gegenteil: Die Korrelationen zwischen den Primärfaktoren sind Grundbedingung / Implikation für die Existenz eines Faktors höherer Ordnung, da du annimmst, dass dieser für diese Korrelationen kausal verantwortlich ist. Das Prinzip ist dasselbe wie bei jedem anderen "common cause" oder "confounder"-Modell (wie auch bei sog. "Scheinkorrelationen" oder Primärfaktor-modellen): Wenn zwei Variablen eine (oder mehrere) gemeinsame Ursachen haben, korrelieren sie *deshalb*.
3) Die Existenz eines higher-order-Faktors hat keine Implikationen für die Interpretation der Primärladungen.

Abgesehen davon wäre es eine gute Idee, doch etwas mehr Theorie in Dein Prozedere zu legen, weil es sonst nur die übliche psychologische gymnastische "Faktoren-Analyse-Übung" ist. Dazu gehört zu hypothetisieren, was der second-order-Faktor ontologisch sein soll (es geistern immer noch solche seltsamen Gedanken durch die Literatur, dass er eine Art Zusammenfassung der Primärfaktoren ist). Ein second-order-Faktor ist eine latente singuläre Entität wie jeder Faktor oder jede latente Variable aus und Dein Modell unterstellt, dass dieses Ding existiert. Dazu wäre es auch echt ein Vorteil, reine Faktorenmodelle (ob Primär - oder sekundär) anzureichern durch externe Validierungskriterien in einem vollen SEM. Das würde es viel stärker erlauben, jenseits des Modelfits der Faktorenstruktur hypothetische Implikationen der Faktoren für diese Kriterien zu testen. Ansonsten weißt du nämlich nicht, ob der second-order-Faktor nicht einfach nur "noise" ist.

Schau dir mal die paper an:

Lee, N., & Cadogan, J. W. (2013). Problems with formative and higher-order reflective variables. Journal of Business Research, 66(2), 242-247. doi:10.1016/j.jbusres.2012.08.004

Lee, N., & Cadogan, J. (2016). Welcome to the desert of the real: reality, realism, measurement, and C-OAR-SE. European Journal of Marketing, 50(11), 1959-1968.


Grüße
Holger
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LauritaBerlin

Re: Modellvergleich: Faktor höherer Ordnung

Beitragvon LauritaBerlin » So 5. Jan 2020, 12:00

Lieber Holger,

vielen Dank für die Antwort! Insbesondere die Hinweise und Literaturtipps zum second-order-factor helfen mir sehr (auch, weil ich bei meiner Recherche teils widersprüchliche Informationen gefunden habe,) und ich werde mich mal genauer in das Thema einlesen.

Viele Grüße

Laura
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