Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Statistik

Fragen, die sich auf kein spezielles Verfahren beziehen.

Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Statistik

Beitragvon Tipmatic1035 » Sa 15. Jan 2022, 15:59

Guten Tag,
ich arbeite an einer retrospektiven „Studie“. Es wird ein Patientenkollektiv aus einem Institut (Stichprobe) untersucht und mit bundesweiten Ergebnissen verglichen.

Es handelt sich um 5 Patientengruppen mit jeweils verschiedenen chirurgischen Leistungen. Die Gruppen sind eher „klein“, mit n=140, n=36, n=26, n=12 und n=4 Patienten.

Auf der Grundlage bestimmter Variablen wird für jede Gruppe und jeden Patienten eine risikoadjustierte Wahrscheinlichkeit, nach einer bestimmten Operation zu versterben (nach einem Risikomodell), berechnet. Diese sogenannte erwartete Letalität wird mit der tatsächlichen Letalität, d.h. mit dem prozentualen Anteil der in Wirklichkeit verstorbenen Patienten verglichen. Ebenfalls werden diese beiden Letalitäten (expected und observed) mit den bundesweiten Ergebnissen verglichen.
Ganz grob gesagt geht es um die Frage, ob die untersuchten Patienten entweder besser oder schlechter abschneiden als der bundesweite Durchschnitt?

Meine Frage ist, wie ich am besten und wissenschaftlich genau meine Ergebnisse interpretieren darf. Und wie kann ich die Gruppen mit den bundesweiten Werten vergleichen?
Es ist mir bewusst, dass die Gruppen sehr klein sind, trotzdem möchte ich fragen, ob eine Chance besteht, die Ergebnisse „vernünftig“ statistisch zu interpretieren. Ob eine deskriptive Statistik in dem Fall richtig wäre, oder wird ihrer Aussagekraft nicht stark genug sein?

Die Bewertung, dass z.B. in der Gruppe mit n=4 Patienten 2 Patienten verstarben, damit die Letalität 50% ist, wäre zu naiv und vor allem falsch aus statistischer Sicht?

Vielen Dank!
Tipmatic1035
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Re: Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Stati

Beitragvon PonderStibbons » Sa 15. Jan 2022, 17:20

Tipmatic1035 hat geschrieben:Ebenfalls werden diese beiden Letalitäten (expected und observed) mit den bundesweiten Ergebnissen verglichen.

Was hat es damit auf sich, woraus setzt sich diese bundesweite Gruppe zusammen?
Für diese bundesweiten Fälle gibt es ebenfalls eine Risikoabschätzung?
Es ist mir bewusst, dass die Gruppen sehr klein sind,

Dann nimm vielleicht nur die beiden oder die drei größten.
Die Bewertung, dass z.B. in der Gruppe mit n=4 Patienten 2 Patienten verstarben, damit die Letalität 50% ist, wäre zu naiv und vor allem falsch aus statistischer Sicht?

Das ist eine Deskriptivstatistik auf Basis der Stichprobe. Macht man damit schließende Statistik,
hat man ein 90%-Konfidenzintervall, das von 8% bis 91% reicht. Alles nicht falsch, nur praktisch
wenig brauchbar.

Mit freundlichen Grüßen

PonderStibbons
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Re: Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Stati

Beitragvon Tipmatic1035 » Sa 15. Jan 2022, 18:03

Vielen Dank für die Antwort.

PonderStibbons hat geschrieben:Was hat es damit auf sich, woraus setzt sich diese bundesweite Gruppe zusammen?
Für diese bundesweiten Fälle gibt es ebenfalls eine Risikoabschätzung?


Die bundesweite Gruppe beinhaltet fast alle Patienten (ich schätze mindestens 90%). Bei diesen Patienten wird die erwartete Letalität mit einem Risikoscore berechnet und mit der reellen Letalität verglichen. Der Score wird auf der Basis der erhobenen Daten zum Beispiel aus dem Vorjahr „modelliert“/entworfen.

PonderStibbons hat geschrieben:Dann nimm vielleicht nur die beiden oder die drei größten.


Das Beispiel mit der kleinsten Gruppe, n=4, ist extrem.
Aber erhalte ich eine brauchbare Statistik, wenn ich die größten Gruppen einbeziehe, d.h. mit n=140, n=36 und n=26 Probanden.

Viele Grüße
tipmatic1035
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Re: Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Stati

Beitragvon PonderStibbons » Sa 15. Jan 2022, 22:07

Ich habe konkret nicht vor Augen, wozu der Vergleich mit der bundesweiten Gruppe dienen und worauf er beruhen soll.
Deren Überlebensrate insgesamt? Oder wird man eine Vergleichsgruppe konstruieren mit derselben Risikoscore-Verteilung?

Mit freundlichen Grüßen

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Re: Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Stati

Beitragvon bele » Sa 15. Jan 2022, 23:09

Hallo tipmatic,

Tipmatic1035 hat geschrieben:Aber erhalte ich eine brauchbare Statistik, wenn ich die größten Gruppen einbeziehe, d.h. mit n=140, n=36 und n=26 Probanden.


Ich verstehe nicht, was die Frage ist. Natürlich kann man testen, ob die Sterblichkeit in 140, 36 oder 26 Patienten signifikant größer oder kleiner als in einer publizierten Studie oder als ein gegebener Prozentsatz oder als durch einen Score vorhergesagt ist. Was Du dann unter einer "brauchbaren" Statistik verstehst, kann natürlich von Dir subjektiv beurteilt werden. Wenn Du mit brauchbar "publizierbar" meinst dann käme es wohl eher darauf an, ob die Fragestellung originell oder die Beobachtungen selten sind.
Wenn die Sterblichkeit in der Nähe von Null liegt, dann sind das kleine Patientenkollektive, aber auch die können in der Medizin berichtenswert sein. Vielleicht berichtest Du uns nochmal etwas ausführlicher, worum es geht und präzisierst nochmal, was konkret Deine Fragestellung an das Forum ist.
Oft ist es auch nützlich zu schreiben, ob es sich um eine Statistik für eine Prüfung (Abschlussarbeit; Abnahme durch den eigenen Prof) oder um eine Statistik für ein wissenschaftliches Journal (mehr Freiheiten, muss aber vor Reviewern bestehen, deren statistischen Vorlieben man nicht kennt) handelt.

LG,
Bernhard
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Re: Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Stati

Beitragvon Tipmatic1035 » Mo 21. Mär 2022, 02:36

Hallo Bernhard
hallo PonderStibbons,
zunächst vielen Dank für das Interesse und die Nachfragen. Gerne werde ich mein Vorhaben präzisieren.
Es handelt sich um eine med. Dissertation, zu einer Veröffentlichung wird sehr wahrscheinlich nicht kommen. Diese ist auf jeden Fall nicht geplant.
Es wurden Patienten aus einer großen Klinik untersucht, die nach einer Herzkatheter-Untersuchung (die in dieser Klinik erfolgte) zu einer Herz-OP gingen. Dafür wurde ein 3-Jahre-Follow-up erstellet. Unter anderem wird die Letalität/Sterblichkeit der Patienten nach der OP ermittelt. Genau geht es um die Krankenhausletalität (das Versterben in dem Krankenhaus in dem man operiert wurde, ohne zeitliche Limitierung) und 30-Tage-Letalität (also das Versterben innerhalb der 30 Tage nach der OP und im Krankenhaus, in dem die OP erfolgte). Die Ergebnisse werden mit bundesweiten Daten verglichen und diskutiert.
Es werden drei chirurgische Leistungsbereiche (OP-Arten) betrachtet, somit handelt es sich um drei Patientengruppen: die Gruppe 1 mit 137, die Gruppe 2 mit 36 und die Gruppe mit 26 Patienten.
Die tatsächliche (beobachtete) Letalität wird mit der erwarteten (vorhergesagten) Letalität konfrontiert. Es wird unter anderem das Verhältnis der beobachteten zu der erwarteten Letalität berechnet. Über das Verhältnis O / E lässt sich erkennen, wie groß die Abweichung ist, wenn man sie in Bezug zu der erwarteten Letalität setzt.
Die erwartete Letalität wird mithilfe zwei Scores riskoadjustiert:
• mit (1) Euroscore (wird die 30-Tage-Letalität für alle Patienten und die Krankenhausletalität nur für die Patientengruppe 1 hervorgesagt)
• und (2) mit einem für jeden Leistungsbereich jeweils entwickelten spezifischen Score (wird nur die Krankenhausletalität für alle Patienten hervorgesagt).
Die Daten sind zwar retrospektiv, allerdings akribisch erhoben. Die Scoren und die Letalitäten wurden berechnet und in einer Tabelle kurz zusammengefasst.
Die Ergebnisse fielen sehr unterschiedlich aus, so dass ich mich im weiteren Handeln verunsichert fühle und frage wie sinnvoll die erhobenen Daten sind, um eine strukturierte Konklusion daraus ziehen zu können.
Meine Fragen:
1. Wie gehe ich mit der ganzen Problematik statistisch vor?
2. Es ist möglich, die Plausibilität der Ergebnisse zu prüfen? Wahrscheinlich nicht, weil die durchgeführten Berechnungen so sind, wie eben berechnet, also nicht änderbar.
3. Sind die Patientengruppen ausreichend groß (zahlreich) und die Ergebnisse statistisch signifikant. Wie kann ich diese Signifikanz berechnen?
4. Oder kurz gefragt, was kann man überhaupt in dieser Arbeit statistisch berücksichtigen? Oder reicht aus zu schreiben, dass so und so viele Patienten prozentual verstorben sind und damit ist derer Letalität größer oder kleiner als der bundesweite Durchschnitt?

Selbstverständlich liegen für jeden Patienten verschiedene Variablen vor.

Das Bild mit der Tabelle, kann ich nicht einfügen.
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Re: Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Stati

Beitragvon PonderStibbons » Mo 21. Mär 2022, 09:15

Über das Verhältnis O / E lässt sich erkennen, wie groß die Abweichung ist, wenn man sie in Bezug zu der erwarteten Letalität setzt.

Demnach wurde je Patient ein Sterberisiko errechnet, das zusätzlich adjustiert wurde anhand Euroscore bzw. spezifischem Score,
und für eine Gruppe insgesamt wurde anhand dessen die erwartete Sterberate errechnet?
Die Ergebnisse fielen sehr unterschiedlich aus,

Was bedeutet das konkret?

Mit freundlichen Grüßen

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Re: Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Stati

Beitragvon Tipmatic1035 » Mo 21. Mär 2022, 10:29

Über das Verhältnis O / E lässt sich erkennen, wie groß die Abweichung ist, wenn man sie in Bezug zu der erwarteten Letalität setzt.

Demnach wurde je Patient ein Sterberisiko errechnet, das zusätzlich adjustiert wurde anhand Euroscore bzw. spezifischem Score,
und für eine Gruppe insgesamt wurde anhand dessen die erwartete Sterberate errechnet?

Das Verhältnis der beobachteten Krankenhausletalität zur erwarteten In-Hospital-Letalität. Werte kleiner eins bedeuten, dass die beobachtete Krankenhausletalität kleiner ist als erwartet und umgekehrt.
Beispiel:
O / E = 1,2 Die beobachtete In-Hospital-Letalität ist 20% größer als erwartet.
O / E = 0,9 Die beobachtete In-Hospital-Letalität ist 10% kleiner als erwartet.
Das Verhältnis wird u.a. dazu verwendet, um die risikoadjustierte Krankenhausletalität zu berechnen.
Nämlich diese risikoadjustierte Krankenhausletalität stellt eine risikoadjustierte Letalitätsrate dar, die einen Vergleich zwischen Krankenhäusern ermöglicht. Diese beschreibt die Letalitätsrate, die erreicht worden wäre, wenn alle Krankenhäuser denselben Patientenmix gehabt hätten. Die risikoadjustierte Krankenhausletalität berechnet sich aus der Multiplikation der beobachteten Gesamtletalität mit dem Verhältnis aus beobachteter zu erwarteter Krankenhausletalität ((O / E) * OGesamt).

Die Ergebnisse fielen sehr unterschiedlich aus,

Was bedeutet das konkret?


Ich habe alles in einer Tabelle zusammengefasst, leider kann ich diese nicht einfügen bzw. hochladen. Gibt es eine Möglichkeit, es zu tun? Mit dem Verlinken kenne ich mich nicht aus.
Viele Grüße
Matthias
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Re: Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Stati

Beitragvon Tipmatic1035 » Mo 21. Mär 2022, 10:54

Hier die Tabelle mit allen wichtigsten Informationen...

https://abload.de/image.php?img=tabelleocjzo.png
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Re: Studienplanung, Stichprobengröße und erforderliche Stati

Beitragvon PonderStibbons » Mo 21. Mär 2022, 12:31

Tipmatic1035 hat geschrieben:
Die Ergebnisse fielen sehr unterschiedlich aus,
Was bedeutet das konkret?

Ich habe alles in einer Tabelle zusammengefasst,

Eine Antwort statt einer unkommentierten Tabelle hätte ich vorgezogen. Ich sehe da nichts sehr Unterschiedliches.

Grundsätzlich kann man eine empirisch in einer Stichprobe ermittelte Rate mit einer erwarteten (vorhergesagten)
Rate mithilfe eines Binomialtests vergleichen.

Alternativ kann man ein Konfidenzintervall für die Stichprobenrate berechnen. Beispielsweise ist ein 95%
Konfidenzintervall äquivalent einem Test mit 5% Ablehnungsbereich. Wenn das 95%-Konfidenzintervall für die
empirische Rate die vorhergesagte Rate einschließt, wäre das also entsprechend einem nicht-signifikanten Test auf
5%-Niveau.

Im Fall der beiden kleinen Stichproben hängt ein "statistisch signifikantes" Ergebnis quasi
an einem Todesfall mehr oder weniger, insofern stellt sich die Frage, wie sinnig das ist.

Mit freundlichen Grüßen

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