Heywood Case - negative Varianz

Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon kassi90 » So 6. Nov 2022, 19:20

Guten Tag,

Ich rechne für vier verschiedene Gruppen je ein Strukturgleichungsmodell, das in jeder Gruppe auch dieselben Items und LVs beinhaltet:

SEM_Gruppe1<- "
A.1 =~ V1 + V2 + V3 + V4 + V5 + V6
A.2 =~ V7 + V8 + V9
B.1 =~ V10 + V11 + V12
C.1 =~ V13 + V14 + V15
C.2 =~ V16 + V17 + V18

Mediator =~ M1 + M2
Outcome =~ O3 + O4

Mediator ~ a1*A.1 + a2*A.2 + a3*B.1 + a4*C.1 + a5*C.2
Outcome ~ b1*Mediator
Outcome ~ c1*A.1 + c2*A.2 + c3*B.1 + c4*C.1 + c5*C.2

#indirekte Effekte
ind1 := a1*b1
ind2 := a2*b1
ind3 := a3*b1
ind4 := a4*b1
ind5 := a5*b1


Ich erhalte für die Gruppe 1 jedes Mal eine nicht-signifikante Varianz für M1 (erstes Item von meinem Mediator). Bei allen anderen Gruppen stellt dies kein Problem dar.

Geprüft habe ich bereits:
- Statistische und empirische Modellidentifikation okay
- SEM für jede UV einzeln gerechnet (mit Ausnahme einer UV gab es immer eine negative Varianz für M1)
- Startwerte angepasst; hat keine Veränderung ergeben
- Standardisierte Residuen geprüft (Items mit hohen Residuen eliminiert); hat keine Veränderung ergeben
- Multikollinearität geprüft (VIF <5, Korrelationen <0.8, Fornell-Lacker erfüllt, Standardfehler sind weitestgehend niedrig)
- Gegenrechnung auf Rohdaten vs. Multiple imputierten Daten ; hat keine Veränderung ergeben
- ausreichend hohe Stichprobe (ca. n = 2000)
- Standardisierte Faktorladung von M1 = 1,106 (Heywood Case) und von M2 = 0,341 (ist ggf. die so niedrige Faktorladung von M2 verantwortlich für die negative Varianz...?)

Hätte irgendjemand eine Idee, was man noch prüfen könnte oder was die Ursachen sein könnte? Wie kann ich mit der negativen Varianz umgehen (der Modellfit ist nämlich in Ordnung).

Freue mich über jeden Tipp/Hinweis.

Viele Grüße
Kai
Zuletzt geändert von kassi90 am Mo 7. Nov 2022, 21:54, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon Holgonaut » Mo 7. Nov 2022, 11:24

Hallo Kai,

ein paar spontane Anmerkungen

-- In deiner Strukturgleichung hast du die Variablen A.3. udn C.3, die kein Messmodell haben. Sind die manifest oder ist das ein Fehler?
-- Dafür gibt es die Variable C.1, die aber im Strukturmodell nicht vorkommt.

Hast du mal nur eine CFA gemacht? Wenn du für das Outcome und den Mediator nur 2 Indikatoren hast, müssen die mit den anderne Varíablen korrelieren. Und die beiden müssen natürlich valide/starke Indikatoren für die latente Variable sein. Unterschiedliche Ladungen zeigen meist, dass das nicht der Fall ist.

Grüße
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Re: Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon kassi90 » Mo 7. Nov 2022, 21:59

Hallo Holger,

danke für den Hinweis - tatsächlich nur oben ein Tippfehler durch das "Pseudonymisieren". Habe das angepasst.

Das heißt, ich muss für die CFA noch Korrelationen zwischen dem Mediator/Outcome und allen exogenen LVs noch spezifizieren? Auch für das SEM oder sind die dann ausreichend identifiziert, sobald ein signifikanter Effekt zwischen dem Mediator und Outcome besteht?

Wenn ich dich richtig verstehe: Sofern die Indikatoren ggf. nicht valide genug sind für die LV, ist das Konstrukt eigentlich auch unbrauchbar?

VG
Kai
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Re: Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon Holgonaut » Mi 9. Nov 2022, 13:36

Hi,

ja, in der CFA gibt es keine Effekte--stattdessen lässt du alles frei korrelieren. Im Lavaan code musst du das nicht manuell machen, exogene Variablen (und das sind sie dann) korrelieren per default.

Zur zweiten Frage: Wenn ein Messmodell machst,in dem du eine Anzahl (2 oder egal) als gemeinsame Folgen einer zugrundeliegenen latenten Variable spezifiziert werden, fehlspezifiziert ist (was optimalerweise einen misfit verursacht aber nciht muss), dann hießt das schlicht, dass diese Modell so nicht gilt. Die Items messen/reflektieren aber ja meist irgendwas. Das muss also nicht das Ende sein. In meinem Buch hab ich einen Fall aus meiner DIss, in dem ich 3 indiktoren als Messunen einer Variable hatte, die sich als Indikatoren von 3 verschiedenen latenten Variablen rausstellten. Vielleicht besorgst du dir das mal. Was eventuelle Betreuer/Gutachter etc. erwarten und wie sehr du gegen Konventionen verstößt ist eine andere Frage :)

Grüße
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Re: Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon kassi90 » Do 10. Nov 2022, 12:59

Hi,

super, danke!

Das Buch ist schon längst in meinem Besitz und tatsächlich wurde kein Buch dieses Jahr von mir häufiger aufgeschlagen als deins ;-) Es hat mir schon bei vielen anderen Dingen sehr geholfen - vielen Dank auch dafür!

Dein Vorgehen klingt plausibel. "Problematisch" bei mir ist, dass ich eine Sekundärdatenanalyse durchführe mit validierten Konstrukten, die ich nicht mehr auflösen kann/will. Dass ich in meiner Arbeit diskutieren muss, dass das Modell bei mir nicht so gut passt, ist natürlich unausweichlich.
Nun hatte ich aber noch eine andere Überlegung dank deiner Diss. Dort hast du ja u. a. auch für ein Messmodell einen Index gebildet und diesen dann als Single-Indikator aufgenommen. Wäre das ggf. eine alternative Lösung auch für mich - meinen Mediator als Index zu verwenden? Natürlich auch hier indiskutable, dass ich das Vorgehen begründen und diskutieren muss, aber vielleicht wäre das eine Möglichkeit bevor ich alles verwerfe...
Wieso hast du bei dem gebildeten Index eine Fehlervarianz von 0 festgelegt und nicht auf einen theoretisch plausiblen Wert?

Viele Grüße
Kai
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Re: Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon Holgonaut » Do 10. Nov 2022, 19:08

Hi,

danke für die Blumen. Schön dass das Buch helfen konnte.

Ja, ein Index geht immer. Die Variable hat dann halt den ontologischen Status eines compostes / Index und wenn der Test klar zeigt, dass die beiden keine zugrundliegende Variable messen, ist das transpartent. Strenggenommen (das ist mein dauerhaftes Dilemma) ist halt immer unklar, was der indirekte Effekt (oder ein Effekt allgemein) bedeutet, wenn die Variable ein Index ist. Im Grund ist es der mittelwert über die "Teil-Variablen" darin, ohne das klar wird, ob beide Facetten betroffen sind oder nur eine. Dasselbe Problem hab ich in einem neuen paper über MASEM beschrieben, dass bei Meta-Analysen generell ein Problem ist, aber bei MASEM eben noch mal verstärkt wird.

https://link.springer.com/article/10.10 ... 22-00293-6

Was du mit dem letzten Satz konkret für ein Modell meinst, weiß ich spontan nicht. Die theoretische Fixierung ist was, was ich sinnvoll finde, mit dem du aber 100% an die Wand fährst, wenn das jemand liest :)

Grüße
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Re: Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon kassi90 » Do 10. Nov 2022, 21:18

Hi,

danke für das Paper! Da schaue ich nachher mal in Ruhe rein.

Naja, eigentlich habe ich dann jetzt ja nur noch diese Möglichkeiten, um mein Heywood Case zu vermeiden:
- Fehlervarianz festsetzen (auf Basis eines theoretischen Wertes)
- mit einem Index rechnen
- equal constraints: beide Ladungen frei schätzen
- ... oder meine Arbeit abbrechen... :?

Ich meinte das Messmodell "Job Stressors" (S. 102).
Was meinst du damit, dass ich vor die Wand fahre, wenn jemand liest, dass ich die Fehlervarianz auf einen theoretischen Wert fixiert habe. Ich würde die Formel : (Varianz von Y) × (1-Reliabilität von Y) verwenden. Ich dachte, das wäre die sinnvollste Methode bei Single-Indicators? Dann kann ich das Vorgehen doch auch beschreiben, nicht? :-)

Danke dir sehr für die vielen wertvollen Tipps bisher!
Kai
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Re: Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon Holgonaut » Sa 12. Nov 2022, 09:17

Hi,

die equal constraints-Variante setzt aber voraus, dass das Modell korrekt ist und es sich um ein reines Identifikationsproblem handelt. Index ist wahrscheinlich die sinnvolleste Lösung. Man sollte den Blick auf das gesamte Modell und die zentralen Forschungsfragen bei solchen Dingen nicht aus dem Auge verlieren. Ich neige auch zur "Selbst-Radikalisierung" und brüte über solche Dinge zu lange....

Ach du meinst das in der Diss. Erstens kannte ich die Idee damals noch nicht und zweitens wär mir mein Doktorvater aufs Dach gestiegen :)

Das Fixieren mit Hilfe der Reliabilität hat 2 Probleme:
1) Der Messfehler eines Indikators ist nicht nur random error sondern letztlich ein allgemeiner Fehlerterm, der alle weiteren (systematischen wie zufälligen) Einflüsse auf die item response kennzeichnet. Wir Psychos sind so indoktriniert von der klassischen Testtheorie, dass die meisten das nicht verstehen. Daher hat der Fehler viel mehr mit Validität als mit Reliabilität zu tun. Das macht Hayduk wie kein anderer klar.

2) Die Reliabilität wird ja meist über interne Konsistenz beschrieben (z.B. alpha). Die wiederum setzt aber die Korrektheit eines tau-essentiellen Modells voraus--also die items messen einen Faktor und das mit gleichen Ladungen. Omega ist relaxter, setzt aber immer noch ein kongenerisches Modell voraus. Wenn du nun einen Index hast, bekommst du eine zu niedrige Angabe für die Reliabilität und hast folglich eine zu große Minderungskorrektur durch die Fixierung. Daher bin ich auch ein Gegner der Korrektur in Meta-Analysen....

Grüße
Holger
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Re: Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon kassi90 » Sa 12. Nov 2022, 23:58

Hi,

... damit mir keiner aufs Dach steigt... :-D : Auf welchen Wert soll ich die Fehlervarianz denn dann d. E. am sinnvollsten bei meinem Index fixieren? Hayduk ist ja gegen eine Festlegung auf 0. Sollte ich mir nochmal die "Half and Double" Strategie von Hayduk angucken oder ist das evtl. auch wiederum zu viel "Spielerei" ?

VG
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Re: Heywood Case - negative Varianz

Beitragvon Holgonaut » Di 15. Nov 2022, 08:00

Hi,

da kann ich dir keinen Tipp geben, weil das von Deiner Einschätzung und Wissen darüber wie die items funktionieren und wie verständlich sie waren abhängt.

Aber auch da kann man auch mit 0 arbeiten. Choose your battles. Optimal wäre ein Bereich von Werten (als eine Art sensitivity analysis) aber das bekommst du keinem verkauft. Falls du das irgendwo einreichen wirst, reicht in der Regel der Satz "ich hab den Wert auf xy fixiert" aus, um dich rauszukegeln.

Das ganze wurde auf SEMNET vor einigen Jahren mal diskutiert. Emil Coman schrieb dazu damals das (hab ich mir archiviert). Ich hoffe, es ist verständlich:

"I learned the hard way you should only tell things in a paper ‘on a need to know basis’, after provisional acceptance; I would not make this a central feature, Bentler used it without comment himself, the 1-indicator-some%-unreliability… These are issues for appendices… If you put the label in there ‘single-item latent variable’ you are toast! If you say ‘corrected for measurement error attenuation’, as Duncan said here (look at what model they used, in 1968!!!! They estimated path coefficients by hand!) “advisable to follow a procedure that reduces the attenuation introduced by measurement error before proceeding to a causal interpretation.” [:129]"

Duncan, O. D., Haller, A. O., & Portes, A. P. (1968). Peer influences on aspirations: A reinterpretation. American Journal of Sociology, 74(2), 119-137. https://doi.org/10.1086/224615

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