Kontrollgruppe und Randomisierung einer RCT

Fragen zur Planung einer Untersuchung oder eines Projekts.

Kontrollgruppe und Randomisierung einer RCT

Beitragvon Adrien9449 » Do 2. Mai 2019, 14:40

Liebe Alle,

Wie ich in diesem Thread beschrieben habe, plane ich eine RCT, um den Effekt einer Online-Intervention (ca. 5 Wochen) zu untersuchen. Die Stichprobe setzt sich aus transgender Personen zusammen. Einerseits rekrutiere ich die Teilnehmenden in Kliniken, bei welchen sich pro Woche etwa 5-10 Personen melden. Andererseits, da ich so zu wenig Personen erreiche, streue ich den Aufruf zur Teilnahme im Internet möglichst breit.
Das heisst, ich werde über einen längeren Zeitraum aus dem klinischen Setting relativ wenig Teilnehmende haben, welche die Intervention beginnen, auf der anderen Seite viele Personen, welche ich online rekrutiere, die zeitgleich anfangen.

Nun sind mir mehrere Dinge unklar:
- Es gibt in meinem Forschungsbereich keine RCT, die schon durchgeführt wurde. Es gibt auch kein treatment as usual. Bisher habe ich gelesen, dass dafür eine Wartekontrollgruppe am meisten Sinn macht. Hat hier jemand mehr Erfahrung damit?
- Es ist mir unklar, wie ich eine Wartekontrollgruppe randomisieren kann. Hat hier jemand Ideen?

Vielen Dank und viele Grüsse
Adrien
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Re: Kontrollgruppe und Randomisierung einer RCT

Beitragvon bele » Do 2. Mai 2019, 15:52

Adrien9449 hat geschrieben:Es ist mir unklar, wie ich eine Wartekontrollgruppe randomisieren kann. Hat hier jemand Ideen?


Nun, zunächst müssen die Teilnehmer ihre Bereitschaft zur Studienteilnahme erklären. Das wird bei Trans* nicht ganz leicht sein, da die es in der Umstellungsphase oft eilig haben und oft eher sich selbst als das Große und Ganze im Blick haben. Da drücke ich Dir die Daumen. Die müssen also nach angemessener Aufklärung einverstanden sein, dass sie ganz nach Zufall entweder sofort behandelt werden oder eben erst in fünf Wochen.
Wenn die Teilnehmer*in ihr Einverständnis erklärt hat, dann wirfst Du eine Münze und wenn die Kopf zeigt, behandelst Du sofort, bei Zahl erst in fünf Wochen. So kommt jede Teilnehmer*in zu ihrer Behandlung und Du hast eine Vergleichsgruppe, die fünf Wochen lang nicht behandelt wurde.
Wenn Dir das mit der Münze nicht passt, dann nimmst Du eben R und kopierst folgendes Kommando dort hinein:

Code: Alles auswählen
sample(c("sofort", "später"), 1)


Oder Du erstellst Dir vorher eine Randomisierungstafel mit

Code: Alles auswählen
sample(c("sofort", "später"), 100, replace = TRUE)


wo dann z. B. sowas herauskommen kann:
Code: Alles auswählen
> sample(c("sofort", "später"), 100, replace = TRUE)
  [1] "später" "später" "später" "später" "sofort"
  [6] "später" "sofort" "später" "sofort" "sofort"
[11] "später" "später" "später" "sofort" "sofort"
[16] "später" "später" "später" "sofort" "sofort"
[21] "später" "sofort" "später" "sofort" "später"
[26] "später" "später" "sofort" "später" "sofort"
[31] "sofort" "sofort" "sofort" "sofort" "sofort"
[36] "sofort" "später" "sofort" "später" "sofort"
[41] "sofort" "später" "später" "sofort" "später"
[46] "später" "später" "sofort" "sofort" "sofort"
[51] "später" "später" "später" "später" "sofort"
[56] "später" "sofort" "sofort" "sofort" "sofort"
[61] "später" "sofort" "später" "später" "später"
[66] "sofort" "später" "sofort" "später" "sofort"
[71] "später" "später" "später" "sofort" "sofort"
[76] "später" "sofort" "später" "später" "sofort"
[81] "sofort" "sofort" "später" "später" "später"
[86] "später" "später" "später" "später" "sofort"
[91] "sofort" "sofort" "später" "später" "sofort"
[96] "sofort" "sofort" "später" "später" "später"


Da musst Du dann aber aufpassen, dass die/der Aufklärende nicht schon vorher weiß, was herauskommen wird.

Danach heißt es dann Daumen drücken, dass die, die in die Wartegruppe eingeteilt wurden auch wirklich bereit sind, zu warten. Du darfst keinen Druck ausüben, jeder Studienpatient darf jede Studie jederzeit ohne Angabe von Gründen und ohne dass ich daraus Nachteile entstehen, verlassen.

HTH,
Bernhard
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Re: Kontrollgruppe und Randomisierung einer RCT

Beitragvon PonderStibbons » Do 2. Mai 2019, 15:58

Bei kleinen Stichproben würde man doch normalerweise nicht einfach eine Münze werfen,
sondern stratifiziert randomisieren?

Mit freundlichen Grüßen

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Re: Kontrollgruppe und Randomisierung einer RCT

Beitragvon Adrien9449 » Fr 3. Mai 2019, 15:18

Liebe Beide,

Vielen Dank für euren Input. Da die Stichprobe eher klein ist, wird wohl wie PonderStibbons sagt eine einfache Randomisierung nicht ausreichen, da die Merkmale nicht gleich auf beide Gruppen verteilt sein werden. Wenn alle Teilnehmenden gleichzeitig mit der Intervention beginnen wollen, würde ich eine stratifizierte Block-Randomisierung mit bestimmten Merkmalen, z.B. Geschlechtsidentität und/oder Alter machen. Allerdings wird es wohl eher so sein, dass die TN ja nicht alle zusammen an der Studie teilnehmen, sondern versetzt - wie könnte ich sie dann randomisieren?

bele hat geschrieben:Nun, zunächst müssen die Teilnehmer ihre Bereitschaft zur Studienteilnahme erklären. Das wird bei Trans* nicht ganz leicht sein, da die es in der Umstellungsphase oft eilig haben und oft eher sich selbst als das Große und Ganze im Blick haben. Da drücke ich Dir die Daumen. Die müssen also nach angemessener Aufklärung einverstanden sein, dass sie ganz nach Zufall entweder sofort behandelt werden oder eben erst in fünf Wochen.


Ja, mir ist bewusst, dass ich eine vulnerable Bevölkerungsgruppe untersuche. Ich arbeite aber mit trans*Organisationen zusammen, darum bin ich da guter Dinge.

Viele Grüsse
Adrien
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Re: Kontrollgruppe und Randomisierung einer RCT

Beitragvon bele » Mo 6. Mai 2019, 16:43

Adrien9449 hat geschrieben: Da die Stichprobe eher klein ist, wird wohl wie PonderStibbons sagt eine einfache Randomisierung nicht ausreichen, da die Merkmale nicht gleich auf beide Gruppen verteilt sein werden. Wenn alle Teilnehmenden gleichzeitig mit der Intervention beginnen wollen, würde ich eine stratifizierte Block-Randomisierung mit bestimmten Merkmalen, z.B. Geschlechtsidentität und/oder Alter machen.


Du kannst Blöcke machen. Das hat dann aber das Problem der Verblindung. "Im letzten 10er Block waren schon 5 in der Wartegruppe, wenn Sie jetzt teilnehmen kommen Sie bestimmt in die Nicht-Warte-Gruppe". Eine Alternative wäre, dass man eben doch jedes Mal eine Münze wirft, diese aber nicht als faire Münze gestaltet, sondern mit adaptiven Wahrscheinlichkeiten: Je mehr eines Stratums schon in der Warte-Gruppe sind, umso wahrscheinlicher wird die Nicht-Warte-Gruppe, aber eben stochastisch und nicht deterministisch.

Ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, ob es jetzt an der Frage liegt, für welches Konzept Du Dich entscheiden sollst oder an der Frage, wie Du welches Konzept umsetzt. Kannst Du dahingehend die Frage präzisieren?

bele hat geschrieben:Ich arbeite aber mit trans*Organisationen zusammen, darum bin ich da guter Dinge.


Ich hatte durch das Forum mal Kontakt mit einer (der?) schweizerischen Organisation. Das machte einen soliden und stabilen Eindruck. In Deutschland hatte ich bisher nicht den Eindruck, dass es eine stabile Selbsthilfeorganisation von überregionalem Ausmaß und mit leidlicher personeller Stabilität gibt, aber vielleicht habe ich mich auch noch nicht lang genug damit beschäftigt. Wenn Du eine kennst, fände ich das interessant. Österreich ist für mich diesbezüglich terra incognita.

Persönlich würde ich es spannend finden, wenn Du noch ein wenig mehr darüber erzählen könntest, worum es in Deinem Training geht (willst Du das Coming out erleichtern, willst Du das Passing erhöhen, willst Du die seelische Stabilität erhöhen oder das Behalten des Arbeitsplatzes fördern, oder... - das ist ja ein riesiges Feld). Hat natürlich nichts mit der Statistik zu tun und deshalb ist das hier auch keine Forderung, sondern nur eine Interessensbekundung.

LG,
Bernhard
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Re: Kontrollgruppe und Randomisierung einer RCT

Beitragvon Adrien9449 » Mi 8. Mai 2019, 13:52

Du kannst Blöcke machen. Das hat dann aber das Problem der Verblindung. "Im letzten 10er Block waren schon 5 in der Wartegruppe, wenn Sie jetzt teilnehmen kommen Sie bestimmt in die Nicht-Warte-Gruppe". Eine Alternative wäre, dass man eben doch jedes Mal eine Münze wirft, diese aber nicht als faire Münze gestaltet, sondern mit adaptiven Wahrscheinlichkeiten: Je mehr eines Stratums schon in der Warte-Gruppe sind, umso wahrscheinlicher wird die Nicht-Warte-Gruppe, aber eben stochastisch und nicht deterministisch.


Ich weiss nicht ob ich dich richtig verstehe, aber ich werde versuchen alles online ablaufen zu lassen und dass ich keinen direkten Kontakt zu den TN haben werde. In den Kliniken werden die trans* Personen vom Fachpersonal auf die Studie hingewiesen und erfahren sonst im Internet über Facebook, E-Mail Verteiler etc. davon. Ich habe gehört für die Blöcke und die Zuweisung anhand von Merkmalen gäbe es Programme, die dann auch automatisch E-mails verschicken etc. Da habe ich mich aber noch nicht eingehend informiert.

Ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, ob es jetzt an der Frage liegt, für welches Konzept Du Dich entscheiden sollst oder an der Frage, wie Du welches Konzept umsetzt. Kannst Du dahingehend die Frage präzisieren?


Ich stelle es mir so vor, dass eine TN die Studienseite aufruft, erste Infos angibt und anhand dessen in so einen Randomisierungsblock aufgenommen wird. Wenn der Block aber noch nicht voll ist, muss die Person warten, bis sie auf die Intervention oder Wartegruppe zugewiesen wird (falls ich das richtig verstanden habe). Das ist mir eben unklar, wie man mit dieser potentiellen Wartezeit umgeht.

Ich hatte durch das Forum mal Kontakt mit einer (der?) schweizerischen Organisation. Das machte einen soliden und stabilen Eindruck. In Deutschland hatte ich bisher nicht den Eindruck, dass es eine stabile Selbsthilfeorganisation von überregionalem Ausmaß und mit leidlicher personeller Stabilität gibt, aber vielleicht habe ich mich auch noch nicht lang genug damit beschäftigt. Wenn Du eine kennst, fände ich das interessant. Österreich ist für mich diesbezüglich terra incognita.

Persönlich würde ich es spannend finden, wenn Du noch ein wenig mehr darüber erzählen könntest, worum es in Deinem Training geht (willst Du das Coming out erleichtern, willst Du das Passing erhöhen, willst Du die seelische Stabilität erhöhen oder das Behalten des Arbeitsplatzes fördern, oder... - das ist ja ein riesiges Feld). Hat natürlich nichts mit der Statistik zu tun und deshalb ist das hier auch keine Forderung, sondern nur eine Interessensbekundung.


Der Hauptfokus der Studie wird auf der Schweiz liegen, das heisst ich werde in erster Linie mit dem Transgender Network Switzerland (TGNS) zusammenarbeiten, die sehr gute Arbeit machen, sonst gibt es noch einige wenige kleinere. Ich glaube in D ist sich da eine nationale Organsation am gruppieren, bin da aber nicht up to date. In D würde ich primär online schauen, mit wem ich zusammenarbeiten kann, womöglich auch mit dem UKE in Hamburg die anscheinend gut vernetzt sind.

Ich basiere meine Studie auf dem Minoritätenstressmodell. Die Idee ist, mit der Intervention den wahrgenommenen internalisierten Minoritätenstress zu reduzieren und zu messen, ob eine Reduktion einen Effekt auf die psychische Gesundheit hat. Das ist bis jetzt eben noch nicht gemacht worden (zumindest nach meinem Wissensstand) und darum hoffe ich, dass ich das so geplant bekomme :)

Danke für deine Unterstützung!
Viele Grüsse
Adrien
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Re: Kontrollgruppe und Randomisierung einer RCT

Beitragvon bele » Mi 8. Mai 2019, 18:00

Adrien9449 hat geschrieben:aber ich werde versuchen alles online ablaufen zu lassen und dass ich keinen direkten Kontakt zu den TN haben werde.


Ehrlich? Ist das nicht gefährlich vom Compliance/Adhärenz/... ?

I
ch habe gehört für die Blöcke und die Zuweisung anhand von Merkmalen gäbe es Programme, die dann auch automatisch E-mails verschicken etc.


Auf der Ebene habe ich leider gar keine Ahnung. Vielleicht wäre es sinnvoller, erst nach solchen Programmen zu suchen und dann aus den vorhandenen Möglichkeiten eine auszusuchen, statt jetzt Luftschlösser zu bauen und nachher zu sehen, dass die sich nicht realisieren lassen. Habe aber über solche Software wirklich keine Ahnung.

Wenn der Block aber noch nicht voll ist, muss die Person warten, bis sie auf die Intervention oder Wartegruppe zugewiesen wird


Warum da jemand warten muss habe ich jetzt noch nicht verstanden. Und wie groß ist das Risiko, dass jemand abspringt, während sie/er warten muss?

Ich hatte durch das Forum mal Kontakt mit einer (der?) schweizerischen Organisation. Das machte einen soliden und stabilen Eindruck.


Der Hauptfokus der Studie wird auf der Schweiz liegen, das heisst ich werde in erster Linie mit dem Transgender Network Switzerland (TGNS) zusammenarbeiten,


Ja, das passt dann wohl zusammen.

Ich wünsche Gutes Gelingen!

LG,
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